MP-Razzia auf der Cebit

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    • MP-Razzia auf der Cebit

      Aufregung am zweiten Cebit-Tag: Polizisten durchsuchen Stände, befragen Standpersonal, beschlagnahmen Exponate. Jetzt wird klar: Es ging um Geld. Ein italienisches Unternehmen versucht, Hersteller zur Zahlung von Lizenzabgaben auf MP3-Patente zu bewegen.

      Die erste Vermutung nach der Razzia war: Die Polizeiaktion richtet sich gegen Mobiltelefone, die dem iPhone zu ähnlich sehen. Jetzt aber wird klar: Nicht Apple steckt hinter den Cebit-Razzien - sondern das italienische Unternehmen Sisvel. Eine Firma, die für etliche Hightech-Unternehmen Patente verwaltet.

      Polizeiaktionen im Umfeld großer Publikumsmessen scheinen zum Konzept der Firma zu gehören. Gegenüber SPIEGEL ONLINE bestätigt Sisvel-Manager Alberto Leproni, bei der Razzia sei es um "Strafanzeigen wegen Patentrechtsverletzungen" gegangen, die das Unternehmen bei der Staatsanwaltschaft Hannover eingereicht hat.

      Die fraglichen Patente seien die Grundlage zur Herstellung von MP3-Technologie und würden von Sisvel verwaltet, sagt Leproni. Aufgrund der Anzeigen habe die Polizei "Produkte wie MP3-Player, DVD-Player mit MP3-Funktion, GPS-Geräte, Mobiltelefone und so weiter von den Messeständen entfernt".

      Und das offenbar nicht zu knapp. Der Hamburger Rechtsanwalt Florian Schwerbrock war selbst dabei, hat für drei seiner Mandanten die Durchsuchungen ihrer Messestände durch Polizeibeamte verfolgt. Etwa 200 Beamte, so der Anwalt, sollen am Mittwoch in Hannover im Einsatz gewesen sein. Da jeweils fünf bis sechs Polizisten die Standdurchsuchungen durchführten, müssten also etwa 30 bis 40 Unternehmen betroffen sein.

      Mittlerweile wird an vielen der betroffenen Stände wieder gearbeitet. Oft aber nur auf halber Flamme. So etwa bei der chinesischen Firma Meizu Technologies, deren Mitarbeiter potentiellen Interessenten jetzt nur noch Infoblätter aushändigen können. Die zuvor ausgestellten Multimediageräte waren bei einem Standbesuch am Donnerstag nicht mehr zu sehen.

      Ob die Standbetreiber ihre Geräte freiwillig oder auf Weisung der Behörden entfernt haben, war nicht zweifelsfrei zu klären. Sicher ist jedoch, dass etliche Aussteller durch die Aktion verunsichert und eingeschüchtert sind. Das mag daran liegen, dass Sisvel laut Schwerbrock, nicht zivil- sondern strafrechtlich gegen die Aussteller vorgeht. Wenn die Beamten auf den Messeständen auftauchen, befragen sie zunächst den Messeverantwortlichen, der laut Schwerbrock in der Regel aber keine Ahnung von Lizenzen und Patenten hat.

      Die Methode, so Anwalt Schwerbrock, ist immer ähnlich. Selbst während laufender Lizenzverhandlungen schlägt das Unternehmen zu, berichtet der Anwalt. Und das mit Macht, denn Sisvels Kundenstamm kann sich sehen lassen. In Sachen MP3 vertritt das Unternehmen die France Telecom, Telediffusion De France, Philips Electronics und das Institut für Rundfunktechnik (IRT). Alles Firmen, die geltend machen wollen, dass von ihnen entwickelte Technologien in jedem MP3-fähigen Gerät zu finden sind.

      Wer hat eigentlich MP3 entwickelt?


      Sie alle sind der Meinung, sie hätten substantielle Beiträge zum MP3-Format geleistet. So etwa die französische Alcatel-Lucent, die etliche Patente der amerikanischen Bell Laboratories aufgekauft hat. Deren Argument lautet, Bell habe schon in den Achtzigern jene Technologien entwickelt, auf denen die späteren MP3-Entwicklungen des Fraunhofer Instituts basierten.

      Philips hingegen argumentiert, das Standardisierungsgremium MPEG (Motion Pictures Experts Group) habe in seine Definition des Audiostandards MPEG-1 Audio Layer 3, der heute als MP3 bezeichnet wird, 1993 auch das Musicam-Format, eigentlich MPEG-1 Audio Layer 2, einbezogen. Auf eben dieses Format halten aber unter anderem die Niederländer Patente und sehen ihre Technologie als eine der Grundlagen für MP3 an.

      Philips-Manager Leon van de Kerkhof, seinerzeit auch Mitglied der MPEG, sagte 2007 in einem Interview: "Im Fall von MP3 ist es ganz klar, dass dieses Format nicht nur von AT&T, Fraunhofer und Thomson entwickelt wurde, weil es auf Musicam basiert." Deshalb, so sieht es Sisvel, werden für alle Geräte, die in irgendeiner Weise MP3-Dateien aufnehmen oder wiedergeben können, Lizenzgebühren fällig.

      Die Methode hat Erfolg

      Diese Sichtweise wird durchaus nicht von allen Unternehmen geteilt, die derartige Produkte herstellen. Vor allem im asiatischen Raum hat es die Firma schwer, ihre Ansprüche durchzusetzen. Wohl deshalb kommt es seit ein paar Jahren regelmäßig im Umfeld großer Hightech-Messen zu Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen wie gestern in Hannover. So wurde Sisvel auch im vergangenen Jahr aktiv, ließ auf der Cebit Digitalkameras, Navigationsgeräte, Handys und MP3-Player beschlagnahmen (mehr...). Auf der Internationalen Funkausstellung (Ifa) 2006 machte die Firma auf sich aufmerksam, als sie sämtliche MP3-Player vom Sandisk-Messestand entfernen ließ.

      Bislang hat Sisvel mit dieser Methode offenbar Erfolg. Jedes Mal, wenn ein Unternehmen von den italienischen Patentwächtern öffentlichkeitswirksam unter die Lupe genommen wird, folgt etwas später eine gütliche Einigung. Wie die allerdings aussieht, darüber schweigen die Vertragspartner beharrlich. So auch Firmen wie Sandisk und Apple, die zwar durchaus bestätigen, man habe sich geeinigt, aber keine Details nennen wollen.



      Von Matthias Kremp
      http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,539764,00.html